İstanbul

( Istanbul )

Istanbul (türkisch [isˈtanbuɫ], von altgriechisch εἰς τὴν πόλιν eis tḕn pólin, „in die Stadt“: siehe unten), früher Byzantion (Byzanz) und Konstantinopel, ist die bevölkerungsreichste Stadt der Türkei und deren Zentrum für Kultur, Handel, Finanzen und Medien. Mit rund 15,5 Millionen Einwohnern nahm die Metropolregion 2019 den 15. Platz unter den größten Metropolregionen der Welt ein. Mit jährlich über 14 Millionen Touristen aus dem Ausland ist Istanbul überdies die Stadt mit der achtgrößten Besucherzahl der Welt. Die Stadt liegt am Nordufer des Marmarameeres auf beiden Seiten des Bosporus, also sowohl im europäischen Thrakien als auch im asiatischen Anatolien. Aufgrund ihrer weltweit einzigartigen Transitlage zwischen zwei Kontinenten und zwei Meeresgebieten, dem Weiterlesen

Istanbul (türkisch [isˈtanbuɫ], von altgriechisch εἰς τὴν πόλιν eis tḕn pólin, „in die Stadt“: siehe unten), früher Byzantion (Byzanz) und Konstantinopel, ist die bevölkerungsreichste Stadt der Türkei und deren Zentrum für Kultur, Handel, Finanzen und Medien. Mit rund 15,5 Millionen Einwohnern nahm die Metropolregion 2019 den 15. Platz unter den größten Metropolregionen der Welt ein. Mit jährlich über 14 Millionen Touristen aus dem Ausland ist Istanbul überdies die Stadt mit der achtgrößten Besucherzahl der Welt. Die Stadt liegt am Nordufer des Marmarameeres auf beiden Seiten des Bosporus, also sowohl im europäischen Thrakien als auch im asiatischen Anatolien. Aufgrund ihrer weltweit einzigartigen Transitlage zwischen zwei Kontinenten und zwei Meeresgebieten, dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer, verzeichnet sie einen bedeutenden Schiffsverkehr und verfügt über zwei große Flughäfen, zentrale Eisenbahn-Fernbahnhöfe und zwei Fernbusbahnhöfe. Das Projekt Marmaray, ein Eisenbahntunnel unter dem Bosporus, verbindet beide Kontinente. Istanbul ist daher einer der wichtigsten Knotenpunkte für Verkehr und Logistik auf internationaler wie nationaler Ebene.

Im Jahr 660 v. Chr. unter dem Namen Byzantion gegründet, kann die Stadt auf eine 2700-jährige Geschichte zurückblicken. Fast 1600 Jahre lang diente sie nacheinander dem Römischen, dem Byzantinischen und dem Osmanischen Reich als Hauptstadt. Als Sitz des ökumenischen Patriarchen und – bis 1924 – des osmanischen Kalifats war Istanbul zudem jahrhundertelang ein bedeutendes Zentrum des orthodoxen Christentums und des sunnitischen Islams.

Das Stadtbild ist von Bauten der griechisch-römischen Antike, des mittelalterlichen Byzanz sowie der neuzeitlichen und modernen Türkei geprägt. Paläste gehören ebenso dazu wie zahlreiche Moscheen, Cemevleri, Kirchen und Synagogen. Aufgrund ihrer Einzigartigkeit wurden Teile der historischen Altstadt von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. 2010 war Istanbul Kulturhauptstadt Europas.

Entwicklung des Namens  Verschiedene Namen Istanbuls auf osmanischen Poststempeln (1880 bis 1925)

Der ursprüngliche griechische Name der Stadt Byzántion (griechisch Βυζάντιον, lateinisch Byzantium), geht auf den legendären Gründer der Stadt, Byzas, zurück, der aus Megara in Mittelgriechenland stammte. Er war einem Orakelspruch der Pythia gefolgt. Im Jahr 324 machte der römischen Kaiser Constantinus die Stadt zu seiner Residenz und ließ Byzantion als „neues Rom“ (Nova Roma, Νέα Ῥώμη) zur Hauptstadt ausbauen. Ihm zu Ehren wurde für die Stadt der Namen Constantinopolis (griechisch Κωνσταντινούπολις Kōnstantinoúpolis „Stadt des Konstantin“) gebräuchlich.[1] Auf Constantinopolis gehen die deutsche Form Konstantinopel und zahlreiche Namensformen in anderen Sprachen zurück. So wurde Konstantinopel auf Arabisch al-Qustantīniyya / القسطنطينية genannt, im Armenischen Gostantnubolis und im Hebräischen Kuschta (קושטא). In vielen slawischen Sprachen hieß die Stadt hingegen Cari(n)grad („Stadt des Kaisers“).

Daneben entwickelte sich der heutige Name Istanbul. Im Laufe der Zeit wurde der Ausdruck Polis („Stadt“, griechisch: ἡ πόλις) allein für die Hauptstadt gebräuchlich, weil alle anderen Städte des Reiches zum Kastron (griechisch: κάστρον, „Festung“) geworden waren.[2] Im Volksgriechischen wurde daraus „στην πόλι(ν)“ (stin poli(n), „in der Stadt“, eigentlich eine Ortsbezeichnung, die aber dann den Ort selbst bezeichnete).[3] Der im 9. Jahrhundert schreibende arabische Schriftsteller al-Masʿūdī berichtet, dass die Griechen für Konstantinopel die Namen „būlin“ und „stan būlin“ gebrauchten. Für das Jahr 1403 gebrauchte der kastilische Gesandte Ruy González de Clavijo für die Stadt den Namen „Escomboli“ und für 1426 berichtete der bayerische Reisende Johannes Schiltberger, dass die Stadt von den Griechen Istimboli und den Türken Stambol genannt wurde.[4]

 Der Name Islambol / إسلامبول auf einer Münze von 1203 H. (1788/89 im gregorianischen Kalender)[5]

In türkischer Sprache wurde dieser Name, eventuell vermittelt durch etazistische oder auch tsakonische Dialektsprecher und mit weiteren Umformungen, wie dem prothetischen vokalischen Anlaut, der auch bei anderen doppelkonsonantisch anlautenden Fremdwörtern im Türkischen auftritt, zu Istanbul, Astanbul / استانبول (auch Istambul, Stambul), eine Form, die schon in seldschukischer Zeit Verwendung fand und später durch osmanische und westeuropäische Aufzeichnungen für das 16. Jahrhundert belegt ist. An Istanbul angelehnt erschien Islambol / إسلامبول / ‚vom Islam erfüllt‘[1], das im 18. Jahrhundert als Name der Münzstätte am Tavşan taşı auch auf Münzen geprägt wurde.

 Aus dem Feldzugstagebuch Süleymans I. (1521): „[…] und fuhr nach der Stadt Istanbul ab […]“ (moderne Hervorhebung)

Literarisch waren bei den Osmanen in Urkunden, Inschriften etc. auch andere Namen üblich. Häufig wurde die Stadt mit ihrer vom Arabischen abgeleiteten Namensform Kostantiniyye / قسطنطينيه bezeichnet. Man findet aber auch şehir-i azima („die großartige Stadt“), sowie ab dem 19. Jahrhundert vermehrt die Bezeichnung Dersaâdet / در سعادت / Der-i Saʿādet / ‚Pforte der Glückseligkeit‘. Weitere Bezeichnungen waren etwa darü’s-saltanat-ı aliyye, asitane-i aliyye und darü’l-hilafetü ’l aliye und pâyitaht / پایتخت /‚Ehrenvoller Thron‘ im Sinne von „Residenz“. Bei den stadtansässigen Europäern waren ab dem 19. Jahrhundert vor allen die französisierten Formen Constantinople und Stamboul geläufig, die auch von französisch sprechenden Türken verwendet wurden.

Verwaltungsmäßig war die Agglomeration zu beiden Seiten des Bosporus und des Goldenen Horns, für die die Namen Istanbul und Konstantinopel und die anderen Namen gebraucht wurden, in mehrere Bezirke aufgeteilt. In der alten, ummauerten Stadt auf der Halbinsel zwischen Goldenem Horn und Marmarameer amtierte als Richter und Chef einer rudimentären Zivilverwaltung der İstanbul Kadısı, der Kadi von Istanbul. In den weiteren Bezirken übten jenseits des Goldenen Horns der Kadi von Galata, jenseits des Bosporus der Kadi von Üsküdar ihr Amt aus und von der Spitze des Goldenen Horns amtierte der Kadi von Eyüp über das Umland. Diese drei Bezirke im Umkreis der alten Stadt wurden die Bilâd-ı selâse genannt. Die jeweils dazugehörigen Siedlungen waren zu unterschiedlichen Zeitpunkten und zu unterschiedlichen Bedingungen unter osmanische Herrschaft geraten.

Im Sprachgebrauch der Europäer, die zumeist in dem zu Galata gehörigen Viertel Pera, heute Beyoğlu, ansässig waren, wurde mit Konstantinopel meist die gesamte Stadt samt den Stadtteilen nördlich des Goldenen Horns und jenseits des Bosporus bezeichnet (also einschließlich ihres Wohnsitzes), während der Name Istanbul bei ihnen eher die alte Stadt auf der Halbinsel zwischen Marmarameer, Bosporus und Goldenem Horn mit ihrem orientalischen Gepräge gebraucht wurde.

1876 wurde der Name der Hauptstadt als Istanbul in die neue Verfassung aufgenommen, wo es in Artikel 2 hieß:

«Devlet-i Osmaniyenin payitahtı Istanbul şehridir / دولت عثمانیه نك پای تختی استانبول شهریدر / ‚Die Hauptstadt des osmanischen Staates ist die Stadt Istanbul‘»

Ab dem 28. März 1930, in der Frühzeit der Republik, wurde İstanbul zum offiziellen Namen der gesamten Stadt, der auch administrativ durchgesetzt wurde. Da die Stadt in osmanischen Schriften und im türkischen Volksmund schon seit langem im engeren Sinn so genannt wurde, war dies eigentlich keine Neubenennung, sondern eine Angleichung an einen seit langem üblichen Sprachgebrauch. In den meisten europäischen Ländern (außer zum Beispiel Griechenland und Armenien) verdrängte die Bezeichnung Istanbul allmählich die Bezeichnung Konstantinopel beziehungsweise deren Varianten aus dem Sprachgebrauch. Die altgriechisch-römische Namensgebung wird aber – meist mit Bezug auf das historische, insbesondere vorosmanische Konstantinopel – auch weiterhin in der Fachliteratur verwendet.

Byzantion

Um 660 v. Chr. gründeten dorische Griechen aus Megara, Argos und Korinth Byzantion, eine Kolonie am europäischen Ufer des Bosporus. Die günstige geographische Lage ermöglichte der Siedlung bald, ein bedeutendes Handelszentrum zu werden. Ende des 6. Jahrhunderts geriet sie in die Auseinandersetzungen zwischen dem Perserreich und den griechischen Poleis, dann in die innergriechischen Konflikte.

513 v. Chr. eroberte der persische König Darius I. die Stadt, 478 wurde sie für zwei Jahre von Sparta besetzt. Danach wählte Byzantion die Demokratie als Regierungsform und schloss sich unter dem Druck Athens dem Attisch-Delischen Seebund an (bis 356). 340/339 widerstand die Stadt der Belagerung durch den makedonischen König Philipp II. Nach dem Zerfall des Makedonenreichs stellte sich die Stadt zunehmend auf die Seite des expandierenden Römerreichs und wurde 196 v. Chr. römischer Bundesgenosse. Diesen Sonderstatus büßte Byzantion erst unter Kaiser Vespasian ein. 196 ließ Septimius Severus die Stadt zur Strafe für die Unterstützung seines Gegners Pescennius Niger zerstören, doch wurde sie wieder aufgebaut. 258 wurde sie von Goten geplündert.

324 errang Konstantin I. die Alleinherrschaft über das Römische Reich und am 11. Mai 330 taufte er die neue Hauptstadt auf den Namen Nova Roma (Neu-Rom). Sie wurde jedoch bekannter unter dem Namen Konstantinopel.[6] Ihre Fläche verfünffachte sich binnen weniger Jahrzehnte. Westlich der von Konstantin errichteten Stadtmauer ließ Theodosius II. ab 412 eine noch heute erhaltene Mauer errichten, womit die Stadtfläche von sechs auf zwölf Quadratkilometer anwuchs. Aquädukte versorgten die inzwischen größte Stadt des Mittelmeerraums mit Wasser, Getreide wurde an große Teile der Bevölkerung ausgegeben.[7]

Konstantinopel – Kostantiniyye – Istanbul  Darstellung Konstantinopels von Cristoforo Buondelmonti, 1422Oströmisches Reich

Nochmals unter Kaiser Justinian I. (527–565) wurde Konstantinopel prächtig ausgebaut (Hagia Sophia). Die Stadt war die mit Abstand reichste und größte Stadt Europas und des Mittelmeerraums und widerstand den beiden Belagerungen durch Araber in den Jahren 674–678 sowie 717/18 erfolgreich. Unter dem Druck der Seldschuken, die ab Mitte des 11. Jahrhunderts Kleinasien eroberten, verlor die Stadt zeitweise ihr östliches Hinterland. In dieser Situation erhielten die italienischen Städte, allen voran Venedig und Genua, Handelsprivilegien und ausgedehnte Wohnquartiere am Südufer des Goldenen Horns; die Genuesen ab 1267 in Pera am Nordufer. Zudem war 1054 die kirchliche Einheit zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und der Orthodoxen Kirche zerbrochen. 1171 ließ Kaiser Manuel I. die Venezianer verhaften und ihr Eigentum konfiszieren. Venedig nutzte den Vierten Kreuzzug zur Rache, und 1204 eroberten Kreuzritter Konstantinopel. Die Stadt wurde geplündert, zahlreiche Einwohner wurden ermordet und Kunstwerke von unschätzbarem Wert gingen verloren. Auf rund 100.000 Einwohner reduziert, war die Stadt von 1204 bis 1261 die Hauptstadt des Lateinischen Kaiserreichs. 1261 gelang es Kaiser Michael VIII., Konstantinopel zurückzuerobern, doch hatte er sich noch zwei Jahrzehnte abermaligen Eroberungsplänen zu widersetzen. Die Stadt war seit dieser Zeit aber nicht mehr als das Zentrum einer Regionalmacht, deren Hinterland ab 1354 sukzessive von den Osmanen erobert wurde. Um 1400 bestand das Reich nur noch aus Konstantinopel mit seinem direkten Umland und kleinen Restgebieten im Norden (Thessaloniki) und Süden (Morea) Griechenlands. Noch einmal 1422 hielt die Stadt einer Belagerung durch Murad II. stand.

Osmanisches Reich  Die Eroberung Konstantinopels nach einer französischen Chronik des 15. Jahrhunderts

Am 5. April 1453 begann die letzte Belagerung durch osmanische Streitkräfte unter Sultan Mehmed II. Am Morgen des 29. Mai wurde die „seit langem verfallene Stadt“[8] besetzt. Konstantinopel – nun offiziell meist Kostantiniyye, gelegentlich auch İstanbul genannt – wurde nach Bursa und Adrianopel (Edirne) zur neuen osmanischen Hauptstadt. Die teilweise zerstörte und entvölkerte Stadt wurde planvoll wieder besiedelt und aufgebaut. Die Macht des Reichs erreichte ihren Höhepunkt unter Sultan Süleyman I. (1520–1566), dessen Architekt Sinan das Stadtbild mit zahlreichen Moscheen, Brücken, Palästen und Brunnen prägte. Mit dem fortschreitenden Verfall des osmanischen Einflusses in der Region und der Verkleinerung des Reichs bis Anfang des 20. Jahrhunderts litt auch die kosmopolitische Bedeutung Konstantinopels.[9]

 Stadtplan von Konstantinopel aus der Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert Blick auf Istanbul um 1910

Die Schwäche des Reichs nach dem Balkankrieg 1912/1913 führte den europäischen Mächten und Russland die Gefahr eines Machtvakuums in den strategisch bedeutenden Meerengen vor Augen und warf die orientalische Frage nach Kontrolle über die Meerengen und Aufteilung des Reiches in Interessensphären auf. Der Sultan und die Jungtürken suchten die Unterstützung des Deutschen Reichs.

 Britisches Kriegsschiff zur Zeit der alliierten Besatzung 1918, im Hintergrund das Goldene Horn

Den Zugriff der Entente auf Konstantinopel konnte das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg auf Seiten der Mittelmächte 1915 in der Schlacht von Gallipoli verhindern. Dennoch war der Krieg verloren. Französische und britische Truppen besetzten ab dem 13. November 1918 die Metropole. Im Friedensvertrag von Sèvres vom 10. August 1920 wurde das Osmanische Reich unter den alliierten Siegermächten aufgeteilt und musste darüber hinaus gewaltige Gebietsverluste hinnehmen. Konstantinopel mit den Meerengen Bosporus und Dardanellen blieb fünf Jahre lang von den Alliierten besetzt. Griechenland forderte in Erinnerung an das als griechisch beanspruchte Byzanz die „Rückgabe“ Konstantinopels, das es zu seiner Hauptstadt machen wollte.

Unter Mustafa Kemal, genannt Atatürk, begann 1919 der türkische Befreiungskrieg, an dessen Ende die letzten Einheiten der alliierten Truppen am 23. September 1923 die Stadt verließen. Konstantinopel verlor in diesem Jahr seinen Status als Regierungssitz an Ankara, womit sich die neue Republik von der Tradition der Osmanen abgrenzen wollte.

Türkische Republik  Anordnung des Innenministeriums unter Talât Pascha am 24. April 1915

Schon während des Ersten Weltkriegs begann die Vertreibung der ersten der beiden großen christlichen Minderheiten, der Armenier. Nichtmuslime hatten bis etwa 1890 die Bevölkerungsmehrheit gestellt, ab diesem Zeitpunkt setzte eine stete Zuwanderung in die Stadt ein, deren Einwohnerzahl wenige Jahre später die Millionengrenze überschritt.[10] Armenier waren seit dem 17. Jahrhundert verstärkt zugezogen, so dass um 1850 über 220.000 in Konstantinopel lebten. Damit stellten sie vielleicht ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung. Die Alliierten suchten im Ersten Weltkrieg ihre Unterstützung. Am 24. April 1915, zwei Monate nach Beginn der Schlacht von Gallipoli (Kämpfe um die Dardanellen), die zwischen dem 19. Februar 1915 und dem 9. Januar 1916 stattfand, ließ die Regierung erstmals armenische Zivilisten aus Konstantinopel deportieren. Offiziell waren es 235, wahrscheinlich mehr als 400 der zu dieser Zeit noch 77.835 Armenier, die in der Hauptstadt lebten.[11] Der Völkermord an den Armeniern fand überwiegend in Anatolien statt; die Armenier Istanbuls blieben bis 1923 weitgehend verschont. In Istanbul zielten die Verfolgungen auf die Deportation der armenischen Elite ab. Bei der Deportation wurden ab dem 24. April 1915 auf Anordnung von Innenminister Mehmet Talât Bey[12] führende Personen der armenischen Gemeinde in Istanbul und später in anderen Ortschaften verhaftet und in Konzentrationslager in die Nähe von Ankara verschleppt. Nach der Annahme des Deportationsgesetzes vom 29. Mai 1915 wurden sie zwangsweise umgesiedelt, gefoltert, enteignet und viele ermordet. Daher wird der 24. April in Armenien als Völkermordgedenktag begangen. In der Nacht auf den 25. April wurden in einer ersten Welle 235 bis 270 armenische Gemeindeführer aus Istanbul (vor allem Geistliche, Ärzte, Verleger, Journalisten, Anwälte, Lehrer, Politiker) aufgrund des Beschlusses des Innenministeriums festgenommen.[13] Eine zweite Verhaftungswelle in Istanbul betraf nach Angaben aus Nachforschungen bis zu 600 Personen.[14]

Die genaue Einwohnerzahl der Stadt ist kaum mehr zu ermitteln. Sie lag um 1920 zwischen 800.000 und 1,5 Millionen,[15] Deutlich ist nur, dass nach vier Jahrzehnten starken Bevölkerungswachstums die Einwohnerzahl geradezu einbrach. 1927 zählte man nur noch 691.000 Einwohner; während die nicht-muslimische Bevölkerung 1914 bei etwa 450.000 gelegen hatte, zählte sie 1927 nur noch 240.000. Damit stellte sie allerdings auch zu dieser Zeit noch fast ein Drittel der Bevölkerung.

84 % der Bevölkerung lebten zu dieser Zeit in Städten mit weniger als 10.000 Einwohnern, was bei der langsam einsetzenden Landflucht ein enormes Potential für die Zuwanderung nach Istanbul barg, das sich ab den 1950er Jahren zu entfalten begann.[16] Während die Griechen, wohl etwa 1,2 Millionen, Anatolien verlassen mussten, durften alle Griechen, die am 30. Oktober 1918 in der Hauptstadt gewohnt hatten, dort bleiben. Doch trotz dieser Sondervereinbarung aus dem Jahr 1926 verließen weitere Griechen die Stadt; ein extremer Mangel an Handwerkern trat ein. 1942 wurden die Nichtmuslime zu einer besonderen Vermögenssteuer herangezogen (Varlık Vergisi), 1955 wurde nahezu die gesamte orthodoxe Bevölkerung beim Pogrom von Istanbul aus der Stadt vertrieben. Von den rund 110.000 Griechen blieben rund 2.500 in Istanbul.[17] Heute leben rund 60.000 Armenier und 2.500 Griechen in der Stadt.

Istanbul wuchs ab den 1950er Jahren rapide, sie zog und zieht bis heute zahlreiche Menschen aus Anatolien an. Die Versorgungsprobleme der Nachkriegszeit führten 1954 zur Gründung der Migros Türk auf Einladung des Istanbuler Bürgermeisters. Seit den 90er Jahren kommen zahlreiche Osteuropäer in die Metropole. Es entstanden groß angelegte Bauprojekte; sie konnten mit dem rapiden Bevölkerungswachstum kaum Schritt halten. Zudem nahmen sie auf vorhandene Strukturen wenig Rücksicht. Istanbul dehnte sich weit in das Umland aus; zahlreiche Dörfer und Städte des Umlands zählen inzwischen zur Metropole. Entsprechend wurde Istanbul 1984 zur Metropolgemeinde erhoben.

1994 wurde der jetzige Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan als Kandidat der islamistischen Refah Partisi (RP) (Wohlfahrtspartei) Bürgermeister. Der spätere Bürgermeister Mevlüt Uysal ist Mitglied der islamisch-konservativen Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP). Im November 2003 wurde die Stadt von einer Serie schwerer Anschläge erschüttert. Der Anschlag in einem Internet-Café am 9. Februar 2006 kostete einen Menschen das Leben, sechs Menschen wurden vier Tage später durch einen Anschlag in einem Supermarkt verletzt.[18]

Am 28. Mai 2013 begannen am Taksim-Platz Demonstrationen. Sie begannen als Proteste gegen ein geplantes Einkaufszentrum bzw. gegen das Abholzen des Gezi-Parks; nach einem brutalen Polizeieinsatz am 31. Mai 2013 wandelten sie sich zu Protesten gegen die Regierung Erdogan und Erdogans Regierungsstil (→ Proteste in der Türkei 2013).

Brände  Folgen eines Brandes in der Istanbuler Altstadt

Die häufig auftretenden Großbrände lösten soziale und ökonomische Krisen aus und hatten großen Einfluss auf die Bebauung der Stadt. Auslöser waren beispielsweise die regelmäßig auftretenden Erdbeben, der Handel mit Explosivstoffen, die Unachtsamkeit in Haushalten und Werkstätten sowie Brandstiftung.[19][20] So ereigneten sich zwischen 1883 und 1906 229 Brände mit der Zerstörung von 36.000 Häusern.[21] Das Feuer 1690 im Großen Basar zerstörte Güter im geschätzten Wert von 3 Millionen Kuruş (etwa 2 Millionen Goldstücke). Die größten Brände in der Stadtgeschichte ereigneten sich 1569, 1633, 1660, 1693, 1718, 1782, 1826, 1833, 1865 und zuletzt 1918 mit 7.500 zerstörten Häusern. Der Reisende Salomon Schweigger schreibt um 1580:

„Es haben sich etliche Brunsten in der Stadt begeben. In einer hätt das Feur ein Gefängnus ergriffen, an der Stadtmaur bei dem Kanal oder Meerhafen. Die Gefangenen im obern Teil des Turns richteten sich mit Gewalt an die Tür, öffneten dieselbe und kamen davon; die andern mußten drin verderben, deren bei siebenzig waren. Ein großer Platz, wie ein groß Dorf, war hinweggebrunnen, aber man merket’s der Stadt nicht an. Wann ein Feur auskompt, so lauft niemand zu, der begehrte zu leschen, ausgenommen die Janitscharen, die darzu verordnet sein, zwar nicht zu leschen, sondern mit Fürbrechen und Einreißen der nächsten Häuser die Flamm zufürkommen“

Salomon Schweigger: Zum Hofe des türkischen Sultans. Leipzig 1986 (Nachdruck), S. 94

Einige Gründe für die verheerende Wirkung der Brände lagen in der dichten, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein vorwiegend aus Holzhäusern bestehenden Bebauung der Stadt, den häufig wehenden Winden und der Siedlungsstruktur, die oft aus weitgehend in sich abgeschlossenen Vierteln (Mahalle) mit Sackgassen bestand und eine schnelle Brandbekämpfung erschwerte. Nach Großbränden wurden Dekrete erlassen, dass Häuser in der Nähe von sozialen, wirtschaftlichen und öffentlichen Gebäuden ebenfalls aus Stein oder Ziegeln sein sollten. Diesen Anordnungen wurde jedoch nicht immer Folge geleistet. In osmanischer Zeit waren unter anderem die Wasserträger-Gilde und die Janitscharen für die Brandbekämpfung zuständig, ab 1718 wurden Feuerwehrwagen mit Wasserpumpen sowie neu gegründete Feuerbrigaden eingesetzt.

↑ a b Klaus Kreiser: Geschichte Istanbuls. Von der Antike bis zur Gegenwart. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-58781-8, S. 14. Marek Stachowski und Robert Woodhouse: The Etymology of İstanbul. Making Optimal Use of the Evidence. In: Studia Etymologica Cracoviensia. Band 20, 2015, S. 221–245, hier: S. 223. Marek Stachowski und Robert Woodhouse: The Etymology of İstanbul. Making Optimal Use of the Evidence. In: Studia Etymologica Cracoviensia. Band 20, 2015, S. 221–245, hier: S. 224. Marek Stachowski und Robert Woodhouse: The Etymology of İstanbul. Making Optimal Use of the Evidence. In: Studia Etymologica Cracoviensia. Band 20, 2015, S. 221–245, hier: S. 233–235. Osmanisches Museum Europa, Erlaubnis vom 23. März 2007 Timothy E. Gregory: A History of Byzantium. 2. Auflage. 2010, S. 61 f. G. I. Bratianu: La question de l’approvisionnement de Constantinople é l’époque byzantine et ottomane. In: Byzantion 5 (1929/30) 83–107 und J. L. Teall: The Grain Supply of the Byzantine Empire, Dumbarton Oaks Papers 13 (1959) 88–139. Wolf-Dieter Hütteroth: Die Türkei. Wissenschaftliche Länderkunden Bd. 21. Darmstadt 1982, S. 480. Konstantinopel in Meyers Konversations-Lexikon. 1888. Band 10, S. 10.28, abgerufen am 10. Juli 2009. Sȩnda Kara: Leitbilder und Handlungsgrundlagen des modernen Städtebaus in der Türkei. Von der osmanischen zur türkischen Stadt, LIT Verlag Münster, 2006, S. 87. Wolfgang Gust (Hrsg.): Der Völkermord an den Armeniern 1915/16. Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amtes, zu Klampen Verlag, Springe 2005, S. 519 (Rezension). Dazu Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg), Aktennotiz des Auswärtigen Amtes vom 5. Juni 1915. Arschawir Schirakian: The legacy: Memoirs of an Armenian Patriot. Hairenik Press, Boston 1976, OCLC 4836363 (Originaltitel: Ktakn ēr nahataknerowa. Übersetzung: Sonia Shiragian). Kamuran Gürün: Tarih Boyunca Ermeni Meselesi. S. 213
Richard G. Hovannisian: The Armenian People From Ancient to Modern Times. In: World War I and the Armenian Genocide. II: Foreign Dominion to Statehood: The Fifteenth Century to the Twentieth Century Auflage: Palgrave Macmillan, 1997, S. 252
Teotoros Lapçinciyan: Գողգոթա հայ հոգեւորականութեան. [The Golgotha of the Armenian clergy], Konstantinopel 1921, S. 62–67.
Zawēn, Armenischer Patriarch von Konstantinopel: My Patriarchal Memoirs. Mayreni, Barrington, RI 2002, S. 63
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Sȩnda Kara: Leitbilder und Handlungsgrundlagen des modernen Städtebaus in der Türkei. Von der osmanischen zur türkischen Stadt, LIT Verlag Münster, 2006, S. 86. Sȩnda Kara: Leitbilder und Handlungsgrundlagen des modernen Städtebaus in der Türkei. Von der osmanischen zur türkischen Stadt, LIT Verlag Münster, 2006, S. 147. The Turks of Western Thrace, Human Rights Watch 11/1 (1999), S. 2. Chronik: Bombenanschläge in der Türkei, in: Handelsblatt, 28. August 2006 Suraiya Faroqhi: Kultur und Alltag im Osmanischen Reich. München 1995, S. 282. Klaus Kreiser, München 2001, S. 152–155. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 4, S. 237 f. („Istanbul“).
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