Hattuşaş

( Ḫattuša )

Ḫattuša oder Hattuscha (auch Hattusa, türkisch Hattuşaş) war vom späten 17. bis zum Anfang des 12. Jahrhunderts v. Chr. die Hauptstadt des Hethiter-Reiches. Ihre Überreste liegen in der türkischen Provinz Çorum beim Ort Boğazkale (früher Boğazköy) im anatolischen Hochland, etwa 180 Kilometer östlich von Ankara. Nördlich der antiken Landschaft Kappadokien lag dort im Bogen des Kızılırmak (antik Halysbogen) im 2. Jahrtausend v. Chr. der Kern des Hethiterreiches, in dessen Zentrum Ḫattuša lag.

Ḫattuša liegt am Übergang der Ebene des Budaközü in steiles Bergland im Süden. Auf einer Nord-Süd-Länge von 2,1 Kilometern steigt das Gelände um etwa 280 Meter an. Die am Hang gelegene Fläche ist von zahlreichen Felsen durchbrochen, die in hethitischer Zeit durchweg bebaut waren. Mit einer Fläche von etwa 180 Hektar ist es eine der größten antiken Stadtanlagen der Welt. Die Einwohnerzahlen werden auf zwischen 10.Weiterlesen

Ḫattuša oder Hattuscha (auch Hattusa, türkisch Hattuşaş) war vom späten 17. bis zum Anfang des 12. Jahrhunderts v. Chr. die Hauptstadt des Hethiter-Reiches. Ihre Überreste liegen in der türkischen Provinz Çorum beim Ort Boğazkale (früher Boğazköy) im anatolischen Hochland, etwa 180 Kilometer östlich von Ankara. Nördlich der antiken Landschaft Kappadokien lag dort im Bogen des Kızılırmak (antik Halysbogen) im 2. Jahrtausend v. Chr. der Kern des Hethiterreiches, in dessen Zentrum Ḫattuša lag.

Ḫattuša liegt am Übergang der Ebene des Budaközü in steiles Bergland im Süden. Auf einer Nord-Süd-Länge von 2,1 Kilometern steigt das Gelände um etwa 280 Meter an. Die am Hang gelegene Fläche ist von zahlreichen Felsen durchbrochen, die in hethitischer Zeit durchweg bebaut waren. Mit einer Fläche von etwa 180 Hektar ist es eine der größten antiken Stadtanlagen der Welt. Die Einwohnerzahlen werden auf zwischen 10.000 und 12.000 geschätzt. Der Ort war vom späten 3. Jahrtausend v. Chr. bis in das 4. Jahrhundert n. Chr. und erneut in byzantinischer Zeit im 11. Jahrhundert n. Chr. bewohnt.

In der Zeit als Hauptstadt war Ḫattuša von einer 6,6 Kilometer langen Stadtmauer umschlossen und konnte über fünf bekannte Tore von außen betreten werden, weitere drei Tore konnten in den Abschnittsmauern innerhalb der Stadt ergraben werden. Der weitaus größere Teil des Geländes harrt noch der Ausgrabung. Bei der ergrabenen Architektur handelt es sich vornehmlich um öffentliche Gebäude, darunter der Königspalast auf dem Hochplateau Büyükkale. Reste von über 30 Tempelbauten kamen verteilt über die Stadt zutage. Welchen Gottheiten sie zuzuordnen sind, ist in Ermangelung von schriftlichen Zeugnissen nicht klar. Wohnviertel wurden bisher nur zu einem geringen Teil in der Unterstadt freigelegt.

Neben zahlreichen anderen Funden kamen über 30.000 meist fragmentarisch erhaltene Tontafeln ans Licht, die mit Keilschrifttexten in hethitischer, alt-assyrischer und mehreren anderen Sprachen beschrieben waren. Durch die Texte konnten wertvolle Informationen über das Großreich der Hethiter gewonnen werden.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird das Gelände von Boğazköy archäologisch erforscht, zunächst zwischen 1906 und 1912 unter Leitung des Istanbuler Archäologischen Museums und einer wesentlichen Beteiligung der Deutschen Orientgesellschaft und des Deutschen Archäologischen Instituts Istanbul (DAI) (1907) seit 1931 unter Federführung des DAI. 1986 wurden Ḫattuša und das benachbarte hethitische Heiligtum Yazılıkaya in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO eingetragen. Beide Orte gehören mit der weiteren Umgebung zum türkischen Nationalpark Boğazköy-Alacahöyük. 2001 wurden die in Ḫattuša gefundenen Keilschrifttafel-Archive in das UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen.

Vorhethitische Zeit
Besiedlung Ḫattuša (grau)
 
spätes 3. Jtsd. v. Chr.
 
frühes 2. Jtsd. v. Chr.
Die Stadtmauern, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind, sind nur zur Orientierung eingezeichnet

Mit der Erwärmung, die dem Ende der letzten Eiszeit folgte, setzte in Anatolien von Südosten nach Nordwesten eine allmähliche Verbesserung der Lebensbedingungen ein, in deren Folge Menschen auch das nördliche Zentralanatolien durchstreiften. Vereinzelte Zufallsfunde von Steinwerkzeugen in der weiteren Umgebung von Boğazköy zeigen ihre Anwesenheit auch in diesem Gebiet. Die Entstehung von Siedlungen durch Ackerbauer und Viehzüchter setzte im 9. und 8. Jahrtausend v. Chr. jedoch weiter im Süden (Çatalhöyük) ein, die ersten produzierenden Kulturen der Jungsteinzeit auf dem anatolischen Plateau entstanden im 7. und 6. Jahrtausend v. Chr. weiter südlich (Hacılar, Kuruçay, Höyücek). Die vorgeschichtlichen Menschen waren technisch noch nicht in der Lage, der ausgedehnten Waldgebiete des nördlichen Zentralanatoliens Herr zu werden.[1] Erste Siedlungen im Gebiet um Boğazköy entstanden im 6. Jahrtausend v. Chr. im Chalkolithikum vielleicht auf dem Felsrücken Büyükkaya im Stadtgebiet von Ḫattuša sowie gesichert im 5. und 4. vorchristlichen Jahrtausend in Büyük Güllücek, Yarıkkaya und Çamlıbel Tarlası in der näheren Umgebung von Boğazköy. Die Siedler kamen möglicherweise nicht aus dem Süden, sondern vom Schwarzen Meer, worauf Elemente der materiellen Kultur hindeuten könnten. Die Siedlungen bildeten allesamt nicht wie in der südlichen Region über einen langen Zeitraum bewohnte Höyüks, sondern lagen in mittlerer Höhenlage und bestanden aus wenigen, rechteckigen Einraumhäusern. Sie wurden nur verhältnismäßig kurze Zeit genutzt, bis die Bodenressourcen verbraucht waren.[2] Für die Zeit vom späten 4. bis zu einer nachweisbaren Besiedlung des Gebiets im späten 3. Jahrtausend v. Chr. sind im unmittelbaren Umfeld von Boǧazköy keine archäologischen Spuren vorhanden. Dann, in der ausgehenden Frühbronzezeit, setzte im Gebiet zwischen Büyükkale und dem sich nordwestlich anschließenden Gebiet der Unterstadt, Nordwesthang genannt, sowie auf Büyükkaya eine zum Teil dichte Besiedlung ein, die bereits städtischen Charakter hatte. Zu der Siedlung gehörten mehrräumige Häuser, in denen Spuren handwerklicher Tätigkeiten wie der Metallverarbeitung und der Töpferei gefunden wurden. Sie wird der Bevölkerungsgruppe der Hattier zugerechnet, die ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. zwischen dem Schwarzen Meer und dem Bogen des Kızılırmak auftauchte. In dieser Zeit erscheint erstmals in einem Text aus Mesopotamien die Bezeichnung Hatti für das Reich eines Königs Pamba in Nordanatolien.[3]

 Karumzeitliche Löwenfigur im Museum Boğazkale

Zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. begannen assyrische Kaufleute, ein Netz von Handelsstationen zu errichten, Karum (assyrisch für Hafen, übertragen Hafen der Karawanen) genannt, das von Zentralanatolien im Westen bis in den westlichen Iran im Osten reichte. Sie zogen mit Eselskarawanen von Aššur am mittleren Tigris nach Kleinasien, um dortige Bodenschätze wie Kupfer, Silber und Gold gegen Zinn und Stoffe aus Mesopotamien zu tauschen. Das Zentrum ihrer Handelsrouten war Kanis, das heutige Kültepe bei Kayseri im Süden von Boǧazköy. Die Stationen lagen jeweils am Rand der anatolischen Städte in eigenen Stadtvierteln. Auch unmittelbar nordwestlich der zu dieser Zeit auf Büyükkale und den Nordwesthang konzentrierten Stadt entstand ein solcher Stützpunkt. Auf Büyükkale bestand zu dieser Zeit bereits ein Fürstensitz, die hattische Siedlung lag auf dem Nordwesthang, während das Karum sich nordwestlich davon, im Bereich der späteren Unterstadt beziehungsweise des Großen Tempels befand.[4] Mit den Assyrern kam auch erstmals die Schrift in Form der assyrischen Keilschrift nach Zentralanatolien. Vor allem in Kültepe, aber auch in Boǧazköy wurden zahlreiche Tontafeln mit Texten in assyrischer Sprache gefunden. Da es sich hauptsächlich um Briefe und wirtschaftliche Texte der Kaufleute handelt, geben sie Aufschluss über das Alltagsleben in einer anatolischen Stadt dieser Zeit. Außerdem kennen wir daher den Namen der Stadt Hattusch (Ḫattuš). Der gewinnorientierte Handel der Kaufleute trug wesentlich zum Wohlstand und Wachstum der Städte und ihrer Fürsten bei und somit zur Beschleunigung der Urbanisierung. Die Häuser wurden mehrräumiger, worin sich eine stärkere Trennung von Wohn- und Arbeitsbereich zeigt. Die Grundfläche der Stadt, zu der auch verstreute Stellen der späteren Oberstadt gehörten, betrug mindestens 48 Hektar und entsprach damit der von anderen zeitgenössischen Zentren wie Kültepe und Acemhöyük.[5]

Bereits am Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. wurden in mesopotamischen Texten über Anatolien erstmals als indogermanisch gedeutete Personennamen gefunden, deren Herkunft bisher nicht geklärt ist. Teile der Forschung vermuten sie nordöstlich des Schwarzen Meeres. Mit dem Versuch, ihre Macht auszudehnen, kam es zu Streitigkeiten zwischen den zentralanatolischen Herrschern. Archäologische Spuren im Stadtgebiet zeigen, dass um 1700 v. Chr. die Stadt in einem Brand zerstört wurde. In einem späteren, hethitischen Keilschrifttext berichtet der aus Kuššara stammende König Anitta von Kaniš:

„In der Nacht nahm ich die Stadt mit Gewalt, an ihrer Stelle aber säte ich Unkraut. Wer nach mir König wird und Hattusch wieder besiedelt, den soll der Wettergott des Himmels treffen.“

Anitta: Übersetzung nach Seeher[6]

Nach lange vorherrschender Meinung war danach der Ort etwa hundert Jahre nicht besiedelt. Durch neuere Funde in der Unterstadt scheint es heute jedoch wahrscheinlich, dass in Hattusch auch direkt nach Anitta weiterhin eine Siedlung bestand.[7]

Hethitische Zeit
Besiedlung Ḫattuša (grau)
 
17. bis Mitte 16. Jhd. v. Chr.
 
spätes 16. bis frühes 12. Jhd. v. Chr.
Die Stadtmauern, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind, sind nur zur Orientierung eingezeichnet
 Tor der Poternenmauer vor Büyükkale

Etwa in der Mitte des 17. Jahrhunderts v. Chr. nahm ein hethitischer Herrscher mit Namen (oder dem Titel) Labarna als erster Großkönig Ḫattuša zur Hauptstadt seines Reiches, der Legende nach trotz Anittas Fluch. Er kam ebenfalls aus der Stadt Kuššara, die bis heute nicht lokalisiert werden konnte, die aber nach verschiedenen Textfunden südöstlich der Hauptstadt vermutet wird. Nach seiner neuen Residenzstadt, die jetzt den Namen Ḫattuša trug, nahm er den Namen Ḫattušili, der von Ḫattuša, an. Der Ausgräber Andreas Schachner nimmt an, dass er den Standort zu dem Zeitpunkt nicht wählte, um hier das Zentrum eines Großreichs entstehen zu lassen, sondern eher wegen der strategisch günstigen landschaftlichen Voraussetzungen. Damit war die Stadt ein sicherer Rückzugsraum gegen die damaligen inneranatolischen Kämpfe. Es wird angenommen, dass er die Siedlung bereits befestigte, auch wenn sein Nachfolger Ḫantili (frühes 16. Jahrhundert v. Chr.) für sich in Anspruch nahm, er habe als erster die Stadt mit einer Mauer versehen. Es handelt sich vermutlich um die sogenannte Poternenmauer, die später die Grenze zwischen Unter- und Oberstadt markierte, und um die nördliche Umfassungsmauer, die heute teilweise unter dem modernen Ort verborgen liegt. Das genaue Baudatum der einzelnen Mauerabschnitte ist nicht feststellbar. Die Befestigung richtete sich zunächst unter anderem gegen die Kaškäer, eine Gruppe von Stämmen, die im Gebiet am Schwarzen Meer lebten und die Hethiter in ihrer gesamten Herrschaftszeit von dort bedrängten.[8] Auch wenn die frühesten schriftlichen Zeugnisse über die Kaškäer aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. stammen, wird angenommen, dass sie bereits vor dem 16. Jahrhundert v. Chr. dort lebten, möglicherweise sogar anatolische Ureinwohner waren.[9] Die Bebauung der Stadt konzentrierte sich zu dieser Zeit um die zwei Kerngebiete Büyükkale und die Unterstadt. Auf Büyükkale befand sich bereits der befestigte Herrschersitz, die Unterstadt nahm etwa den Bereich des großen Tempels mit Umgebung ein, aber auch der Nordwesthang zwischen Regierungssitz und Unterstadt war nach archäologischen Zeugnissen bebaut, dort wurden direkt neben der Poternenmauer Reste eines großen, unterirdischen Getreidesilos gefunden.[8] Mitsamt dem Felsrücken Büyükkaya nahm das bebaute Gebiet damit eine Fläche von etwa 0,9 × 1,2 Kilometern ein.[10]

In den folgenden Jahrhunderten wurde die Unterstadt weiter ausgebaut, auf Büyükkale verschwand die noch vorhandene Wohnbebauung und wurde durch öffentliche oder repräsentative Gebäude ersetzt. Auch der große Tempel mit seinen umgebenden Magazinen und dem Haus der Arbeitsleistung in der Unterstadt entstand vermutlich bereits in althethitischer Zeit, nach neueren Forschungen im 16. Jahrhundert v. Chr.[11] Die Wohnhäuser wurden größer und regelmäßiger, sie scheinen ab dem 16. Jahrhundert v. Chr. nicht mehr nur wirtschaftlichen, sondern auch repräsentativen Zwecken gedient zu haben.[12] Ein Text aus der Zeit von Tudḫaliya II. um 1400 v. Chr. berichtet nochmals von einem Brand der Stadt, wahrscheinlich durch die Kaškäer.[13]

Wurde früher angenommen, dass der Ausbau der Oberstadt erst in der Spätzeit des Großreichs stattfand, so ist heute durch zahlreiche Funde nachweisbar, dass dieser planvolle Umbau bereits im 16. Jahrhundert v. Chr. begann. An einer erhöhten Stelle, nordöstlich des späteren Löwentors, wurden zunächst Getreidespeicher, dann Wasserreservoirs, die sogenannten Südteiche, angelegt. Zivile Bebauung ist westlich von Sarıkale, einem Felsen im Südwesten des Stadtgebiets, nachgewiesen, sie ist im Unterschied zur Altstadt sehr gradlinig und regelmäßig angelegt. Und über die Zeit vom 16. bis 14. Jahrhundert v. Chr. entstand an einem Hang zwischen Sarıkale und Büyükkale ein Tempelviertel mit 27 Kultgebäuden. Wann die Befestigung der Oberstadt errichtet wurde, ist nicht genau nachweisbar, es ist aber unwahrscheinlich, dass die im 16. Jahrhundert v. Chr. begonnenen Südteiche, die Wohnbebauung und die ersten Tempel nicht umwehrt waren. Entgegen der früheren Annahme, dass die Entstehung der fünf monumentalen Tore der Stadtmauer sowie der repräsentative Ausbau von Yerkapı, dem südlichen Teil der Stadtmauer, erst in der letzten Phase im 13. Jahrhundert v. Chr. erfolgten, datiert Andreas Schachner beides bereits ins 16. oder 15. Jahrhundert v. Chr.[14]

Im frühen 13. Jahrhundert v. Chr. verlegte Muwattalli II. die Hauptstadt des Reiches von Ḫattuša nach Tarḫuntašša, eine Stadt in der gleichnamigen Region im Süden Anatoliens, deren genauer Standort noch unbekannt ist. Der Grund für die Verlegung ist unklar, aber er verlegte sie mit den Göttern von Hatti und den Manen (den Geistern der Ahnen), was naturgemäß einen tiefgreifenden Einschnitt in die Stadtgeschichte darstellte. Auch wenn nach wenigen Jahrzehnten sein Nachfolger Muršili III. in die alte Hauptstadt zurückkehrte, wandelte sich in dieser Zeit die Oberstadt vom Kult- zum Handwerkerviertel. Der größte Teil der Tempel im Tempeldistrikt der Oberstadt wurde aufgegeben und durch Töpferwerkstätten überbaut.[15] Muršili wurde durch seinen Onkel Ḫattušili III. abgesetzt. Unter ihm und seinem Sohn und Nachfolger Tudḫaliya IV. erlebte die Stadt eine letzte Blütezeit. Vor allem der Palastkomplex auf Büyükkale wurde monumental erweitert mit von Säulenhallen gefassten Höfen, einer Audienzhalle und dem eigentlichen Königspalast, außerdem war Tudḫaliya verantwortlich für die prächtige Reliefausstattung des Felsheiligtums von Yazılıkaya außerhalb der Stadt.[16] Dessen Sohn und letzter König des Hethiterreiches Šuppiluliuma II. schließlich war der Errichter der großen Inschrift von Nişantaş und östlich davon, im Bereich der Südburg, einer Kultanlage aus den beiden Ostteichen, zwei Kammern und einem Tempel.[15] Eine dieser Kammern, die mit Reliefs und einer großen Inschrift ausgestattet ist, wird als DINGIR.KASKAL.KUR bezeichnet, was etwa einen Zugang zur Unterwelt bedeutet.[17]

Auch außerhalb der umwehrten Stadt wurden Spuren einer hethitischen Besiedlung gefunden. So ist zum Beispiel zwischen Büyükkaya und Yazılıkaya eine lockere Bebauung nachweisbar, bei der dort gelegenen Felsgruppe Osmankayası konnte die bisher einzige Nekropole im Umfeld der Stadt ergraben werden. Sie war vom 17. bis ins 14. Jahrhundert v. Chr. in Benutzung. Südöstlich der Stadt in der Kayalıboğaz-Schlucht wurden Reste eines vorgelagerten Verteidigungswerks gefunden. Im Osten jenseits der nach Yozgat führenden Straße konnten westlich von Yazılıkaya zwei Wasserspeicher nachgewiesen werden, die wohl zu einer Bewässerungsanlage der Felder gehörten.[18]

Weshalb im frühen 12. Jahrhundert v. Chr. das hethitische Großreich zerfiel und die Hauptstadt verlassen wurde, ist bisher ungeklärt. Als mögliche Ursachen kommen interne Streitigkeiten – möglicherweise als Spätfolgen der Usurpation des Throns durch Ḫattušili III. – infrage, ebenso Hungersnöte, entweder durch Klimaveränderungen oder infolge von zu starker Ausbeutung der Ressourcen. Auch der Seevölkersturm, der zu der Zeit die Anrainer des östlichen Mittelmeers bedrängte, hatte möglicherweise zumindest indirekte Auswirkungen bis nach Zentralanatolien, indem die Fernhandelsbeziehungen wegbrachen. Zwar konnten an zahlreichen Gebäuden der Stadt Brandspuren festgestellt werden, aber da die Räume vorher größtenteils leergeräumt wurden, ist ein Angriff nicht wahrscheinlich. Auch ist nicht erkennbar, ob die Brände gleichzeitig oder in Abständen erfolgten. Die allgemeine Forschungsmeinung tendiert heute zu einer Mischung all dieser möglichen Ursachen.[19][20]

Jürgen Seeher hält es für möglich, dass Šuppiluliuma II. die Stadt planvoll verlassen hat und nochmals die Hauptstadt verlegte.[21] Darin schließt sich ihm auch der australische Historiker Trevor R. Bryce an[22] Zsolt Simon vermutet, dass ihm dort ein Großkönig Tudḫaliya V., vielleicht sein Sohn, nachfolgte und das Reich – allerdings jetzt bedeutungslos – weiter existierte.[23]

Nachhethitische Zeit  Phrygischer Eisenhelm des 8./7. Jahrhunderts v. Chr. vom Nordwesthang, Museum Boğazkale Ruine einer byzantinischen Kirche im oberen Tempelviertel

Entgegen der früheren Ansicht, dass dem Ende der Hauptstadt eine Besiedlungspause von mehreren Jahrhunderten folgte, zeigen Ausgrabungen auf Büyükkaya, dass dort eine kleinere Siedlung existierte, zu deren Einwohnern möglicherweise auch Reste der hethitischen Bevölkerung gehörten. Allerdings geht aus den Funden ebenso hervor, dass diese Menschen auf ein kulturelles Niveau zurückfielen, das zum Teil der Steinzeit entsprach. So lebten die Bewohner in kleinen Grubenhäusern, bei der Keramik geriet der Gebrauch der Töpferscheibe bald in Vergessenheit, ebenso wie der Gebrauch der Schrift. Möglicherweise handelte es sich bei den Siedlern um Gruppen aus dem nördlichen Anatolien, die das entstandene Machtvakuum nutzten.[24] Die Siedlung auf Büyükkaya dehnte sich im Lauf der Jahrhunderte über die ganze Oberfläche des Hügels aus, und im übrigen Stadtgebiet entstanden kleinere Ansiedlungen, beispielsweise beim Haus am Hang, bei Tempel 7 in der Oberstadt und auf Büyükkale.

In der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. wurde auf Büyükkale wieder eine Befestigung errichtet. Auf Grund von Funden wie einer Kybele-Statue und Inschriften in phrygischer Sprache auf Keramikscherben wird sie allgemein mit den im westlichen Zentralanatolien lebenden Phrygern in Verbindung gebracht, wobei die Befunde der materiellen Kultur für eine unabhängige soziopolitische Struktur sprechen. Im 7./6. Jahrhundert v. Chr. wurde – wahrscheinlich zumindest zeitweise parallel – südlich von Büyükkale, im Bereich nordwestlich der Ostteiche und der hethitischen Kultgrotten, die Südburg errichtet, in deren westlicher Umgebung eine Wohnbebauung entstand. Sowohl Büyükkale als auch die Südburg waren von starken Mauern umgeben. Die Ausbreitung der Meder im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. und später der persischen Achämeniden nach Anatolien hatte auf die materielle Kultur der Stadt keinen archäologisch sichtbaren Einfluss, das Leben lief weiter, bis die Stadt im 5. Jahrhundert v. Chr. an Bedeutung verlor. Unklar ist, ob die Siedlung tatsächlich völlig aufgegeben wurde.[25]

Einen erneuten kulturellen Umbruch in der Region brachten im 3. Jahrhundert v. Chr. die Galater, die östlichen Kelten, die von Südosteuropa über Westanatolien nach Zentralanatolien vordrangen. In Tavium beim heutigen Büyüknefes, etwa 20 Kilometer südlich von Boğazköy, hatte der Stamm der Trokmer sein Zentrum, von wo aus sie auch das Gelände von Ḫattuša in Besitz nahmen. Zeugnis davon legen Spuren von Wohnbebauung auf dem Nordwesthang, eine kleine Festungsanlage bei Kesikkaya sowie vereinzelte Steinkistengräber und Pithosbestattungen in der Unterstadt ab.[26]

Nach etwa 25 v. Chr. übernahm das Römische Reich die Herrschaft über das Gebiet der Trokmer und machte es zur Provinz Galatia. Aus dieser Zeit zeugen nur wenige verstreute Dorfsiedlungen in der Umgebung der Stadt. Im 1. Jahrhundert n. Chr. bauten die Römer eine Straße von der Provinzhauptstadt Tavium nach Norden, vermutlich nach Amasia, die wenige Kilometer östlich und nördlich am Gebiet von Boğazköy vorbeiführte. In den Ruinen der bronze- und eisenzeitlichen Stadt von Boğazköy wurde zunächst ein römisches Militärlager angelegt, das in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. mit einer großzügigen Villenanlage überbaut wurde. Im Umfeld des Großen Tempels und in der Unterstadt wurde eine ausgedehnte Nekropole dieser Zeit freigelegt, während sich auf Büyükkale die Reste einer kleinen, wohl spätkaiserzeitlichen Befestigung fanden. Auch belegen zahlreiche Abarbeitungen an Felsen sowie an Werksteinen im Großen Tempel, dass die Römer sie als Steinbruch nutzten. Am deutlichsten sind die Spuren am Felsen von Kessikkaya im Westen der Stadt zu erkennen.[27]

 Konak von Ziya Bey und Arslan Bey, Anfang des 20. Jahrhunderts Grabungshaus

Aus der frühbyzantinischen Zeit sind nur spärliche Zeugnisse erhalten, dagegen wurden in der Oberstadt, am Nordrand des Tempelviertels, Überreste einer mittelbyzantinischen Siedlung mit einem Kloster und mehreren Kirchen des 10. bis 11. Jahrhunderts ausgegraben und zum Teil restauriert. Darin waren Spolien des 6. bis 8. Jahrhunderts verbaut, die auf eine frühere Kleinsiedlung schließen lassen. Auf Sarıkale wurde die bestehende hethitische Anlage in dieser Zeit umgebaut und mit einer Befestigung ausgestattet. Auch auf dem südlich davon liegenden Felsblock Yenicekale sind Reste einer byzantinischen Bebauung gefunden worden. Die datierbaren Münzfunde enden etwa in den 1060er Jahren, sodass davon ausgegangen werden kann, dass zu jener Zeit die Siedlung aufgegeben wurde, vermutlich im Zuge der Einwanderung türkischer Stämme aus dem Osten.[27][28]

In den folgenden Jahrhunderten ist keine Siedlungsaktivität im Raum von Boǧazköy nachweisbar. Aus der Zeit der seldschukischen Fürstentümer ab dem 12. Jahrhundert existieren lediglich vereinzelte Münzfunde, die aber wohl auf durchziehende Nomaden zurückzuführen sind. Im 15./16. Jahrhundert wird das seldschukische Beylik der Dulkadiroğulları von den Osmanen zerschlagen. Daraufhin ließ sich ein versprengter Zweig der ursprünglich aus der Gegend von Maraş stammenden Familie zunächst in Yekbas (zeitweise Evren) nieder, um schließlich im 17. Jahrhundert drei Kilometer weiter südlich den Ort Boǧazköy, das heutige Boğazkale, zu gründen. Die Verlegung der Siedlung aus der Ebene des Budaközü-Baches in die bergige und damit geschütztere Landschaft erfolgte vermutlich aufgrund der Wirren infolge der sogenannten Celali-Aufstände. Der Konak, die herrschaftliche Residenz der Familie, existiert noch heute. Angehörige dieser Sippe, Ziya Bey und Arslan Bey, waren es, die am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts den westlichen Forschern und Archäologen Unterkunft und Unterstützung bei ihren Grabungen zukommen ließen.[29]

Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 41–43. Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 43–49. Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 49–55. Jürgen Seeher: Hattuscha-Führer. Ein Tag in der hethitischen Hauptstadt. 4., überarbeitete Auflage. Ege Yayınları, Istanbul 2011, ISBN 978-605-5607-57-9, S. 159–160. Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 56–68. Jürgen Seeher: Hattuscha-Führer. Ein Tag in der hethitischen Hauptstadt. 4., überarbeitete Auflage. Ege Yayınları, Istanbul 2011, ISBN 978-605-5607-57-9, S. 160–161. Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 68. ↑ a b Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 71–74. Einar von Schuler: Die Kaškäer. Ein Beitrag zur Ethnographie des alten Kleinasien (= Ergänzungsband 3 zu Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie). de Gruyter, Berlin 1965. S. 19. Jürgen Seeher: Hattuscha-Führer. Ein Tag in der hethitischen Hauptstadt. 4., überarbeitete Auflage. Ege Yayınları, Istanbul 2011, ISBN 978-605-5607-57-9, S. 164. Andreas Schachner: Of Assyrians, Hittites and Romans: an annotated bibliographical summary of recent Work in Boğazköy/Ḫattuša In: News from the Lands of the Hittites Volume 3–4 2019–2020 ISSN 2611-0555 S. 238. Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 75–82. Jürgen Seeher: Hattuscha-Führer. Ein Tag in der hethitischen Hauptstadt. 4., überarbeitete Auflage. Ege Yayınları, Istanbul 2011, ISBN 978-605-5607-57-9, S. 164. Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 82–94. ↑ a b Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 94–98. Jürgen Seeher: Hattuscha-Führer. Ein Tag in der hethitischen Hauptstadt. 4., überarbeitete Auflage. Ege Yayınları, Istanbul 2011, ISBN 978-605-5607-57-9, S. 166–168. John David Hawkins: The Hieroglyphic Inscriptions of the Sacred Pool Complex at Hattusa (Südburg) (= Studien zu den Boǧazköy-Texten. Beiheft 3). Harrassowitz, Wiesbaden 1995, ISBN 3-447-03438-6, S. 44. Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 104–109. Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter, Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 109–114, 345. Birgit Brandau, Hartmut Schickert: Hethiter – Die unbekannte Weltmacht. 2. Auflage. München 2002, ISBN 3-492-04338-0, S. 326–332. Jürgen Seeher: Die Zerstörung der Stadt Ḫattuša In: Gernot Wilhelm (Hrsg.): Akten des IV. Internationalen Kongresses für Hethitologie Würzburg, 4.-8. Oktober 1999. Harrassowitz, Wiesbaden 2001 S. 623–634. Trevor Bryce: The World of The Neo-Hittite Kingdoms. A Political and Military History, Oxford University Press, Oxford 2012, ISBN 978-0-19-921872-1, S. 10. Zsolt Simon: Die ANKARA-Silberschale und das Ende des hethitischen Reiches In Zeitschrift für Assyriologie und Vorderasiatische Archäologie Bd. 99 S. 247–269, hier S. 259–261. Jürgen Seeher: Hattuscha-Führer. Ein Tag in der hethitischen Hauptstadt. 4., überarbeitete Auflage. Ege Yayınları, Istanbul 2011, ISBN 978-605-5607-57-9, S. 171; Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 313. Jürgen Seeher: Hattuscha-Führer. Ein Tag in der hethitischen Hauptstadt. 4., überarbeitete Auflage. Ege Yayınları, Istanbul 2011, ISBN 978-605-5607-57-9, S. 170–174. Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 109–114, 331. ↑ a b Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter, Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 109–114, 332–339. Jürgen Seeher: Hattuscha-Führer. Ein Tag in der hethitischen Hauptstadt. 4., überarbeitete Auflage. Ege Yayınları, Istanbul 2011, ISBN 978-605-5607-57-9, S. 175–176. Andreas Schachner: Hattuscha – Auf der Suche nach dem sagenhaften Großreich der Hethiter. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-60504-8, S. 109–114, 338–341.
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