Sant Martí del Canigó

( Abtei Saint-Martin du Canigou )

Die Abtei Saint-Martin-du-Canigou (katalanisch Sant Martí del Canigó) liegt 1094 Meter hoch am Westhang des 2785 Meter hohen Pic du Canigou in den französischen Pyrenäen im Roussillon, etwa 55 Kilometer westlich von Perpignan. Die Anlage liegt auf einem von steilen Felsabstürzen umgebenen Plateau. Sie ist nur über einen recht steilen Fußweg von der kleinen Ortschaft Casteil (Arrondissement Prades) aus zu erreichen.

Die frühe romanische Kunst des Mittelmeerraumes tritt im Roussillon nicht in den Bauten des Abts Oliba in Cuxa zum ersten Mal in Erscheinung, sondern in Saint-Martin du Canigou, einer Gründung der Herren der Grafschaft Cerdanya. Da man es hier mit den frühesten Anfängen eines Stils zu tun hat, zeigt dieser Bau noch alle typischen Merkmale des Suchens und Experimentierens.

Das Kloster beherbergt heute einen Konvent der Gemeinschaft der Seligpreisungen.

Am 14. Juli 1007 schenkten Guifred Cabreta, Graf des Conflent und der Cerdanya, und seine Gemahlin Guisla eines an den Hängen des Mont Canigou gelegenen Oratoriums Saint-Martin (seit 996 spätestens belegt) verschiedene Allode, Freigüter aus dem Conflent und dem Roussillon, damit „dieser Ort zu Ehren unseres Herren Jesus Christus erbaut werde, dass ihm streitbare Mönche zugeteilt werden, die unter der Ordensregel des heiligen Benedikt stehen, und dass man nach dem Willen und den Privilegien des römischen Pontifex und des Bischofs von Elne und gemäß der Einsetzung des Königs der Franken hier dem allmächtigen Gott in alle Ewigkeit diene“. Graf Guifred war ein Enkel Wilfried des Haarigen, dem Gründer der Grafschaft Barcelona.[1]

Es scheint heute festzustehen, dass man mit dem Bau dieser Kirche um 997 begonnen hat. Zu dieser Zeit wird sie jedenfalls zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Dank einer Reihe von Schenkungen in den Jahren 998 und 1005 konnte regelmäßig weitergebaut werden. Am 10. November 1009 kam Oliba, der Bischof von Elne und jüngerer Bruder des Grafen Cabreta, an den Ort namens Canigou, „um zu Ehren des heiligen Martin die Kirche zu weihen, die sich an dem Ort befindet, den man Kloster des Canigou nennt und auf diesem Berg von einem Priester und Mönch mit Namen Sclua erbaut worden war.“

In der Urkunde wird bestätigt, dass das Kloster im Auftrag des Grafen Guifred und seiner Gemahlin Guisla entstand, die hier selbst bestattet werden wollten. Das gräfliche Paar bereicherte den Klosterschatz um Weihegefäße und Priesterornate und stattete es mit verschiedenen Landgütern aus. Zahlreiche Grundbesitzer, die an der feierlichen Weihe teilnahmen, stifteten ebenso Teile ihres Besitzes und vergrößerten so das Vermögen des Klosters. Das von dem Weihepriester geschriebene Protokoll bestimmte, dass die Mönche dem Bischof von Elne unterstellt wurden.

Dieses Abhängigkeitsverhältnis wird in einer Bulle des Papstes Sergius IV. vom November 1011 eingeschränkt. Das Original aus Papyrus verwahrt die Stadtbibliothek von Perpignan. Darin werden die Güter des Klosters bestätigt, gleichzeitig wird jedoch eine Ausnahme von den üblichen Gepflogenheiten dahingehend gewährt, dass die Äbte frei von der Mönchsgemeinschaft gewählt werden konnten.

Die weltliche Macht übte ihre Vormundschaft weiterhin wie gewohnt aus. Im Jahr 1014 erklärten Abt Oliba von Cuxa und mehrere andere Geistliche, dazu auch Graf Guifred und sein Bruder Bernard, der Graf von Besalu, dem Bischof Oliba von Elne, dass sie beschlossen hätten, an die Spitze des Klosters einen Abt zu stellen, der aus den eigenen Reihen stammte. Die Kirche sei jetzt geweiht, reichlich mit Einkünften versorgt und verfüge über eine ausreichende Anzahl von Mönchen. Sie verlangten deshalb vom Bischof, den Mönch Sclua, der das Kloster erbaut hatte, zum Abt zu ernennen, der diese Aufgabe von 1014 bis 1044 innehatte.

Um 1012/13 gab es im Kloster auch Reliquien. Von der Diözese Toulouse waren die sterblichen Überreste des heiligen Gauderique (Gauderich) gekauft worden. Sie sollten in der Geschichte des Klosters und des gesamten Roussillon noch eine bedeutende Rolle spielen.

Weitere Schenkungen erlaubten es, einen neuen Bauabschnitt der Kirche zu beginnen, der mit einer zweiten feierlichen Weihe, die verschiedene Quellen auf 1014 oder 1026 datieren, gekrönt wurde.

Graf Guifred, der sich sehr mit dem Mysterium des Todes beschäftigte, entschloss sich, dem Beispiel seines Bruders Graf Oliba-Cabreta folgend, der als Benediktiner im Kloster von Monte Cassino gestorben war, das weltliche Leben aufzugeben. Er trennte sich von seiner Frau, um auf dem Canigou Mönch zu werden. Am 8. November 1035 setzte er sein Testament auf und verteilte sein Erbe unter seinen sieben Kindern und seiner zweiten Frau Elisabeth. An seinem Todestag, dem 31. Juli 1049, machte sich ein Bote auf den Weg, um den Abteien, die Saint-Martin angeschlossen waren, die Nachricht zu überbringen. Er gelangte auf seinem Weg bis nach Fleury-sur-Loire. Der Rückzug des Grafen in die Abgeschiedenheit des Klosterlebens gab den Menschen Anlass zur Bildung von mancher Legende.

Der Einfluss von Saint-Martin du Canigou ging in der Folge stark zurück. Diese Abtei war zu einer Zeit gegründet worden, als die Christen hier in den Bergen Zuflucht von dem Islam fanden und infolgedessen die Gegend dicht besiedelt war. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts und besonders dann im 12. Jahrhundert änderte sich die Situation grundlegend. Von den katalanischen Pyrenäen ging eine Völkerwanderung in die Länder aus, die aus der Hand der Araber wieder zurückerobert waren. Parallel dazu verlor das Kloster am Canigou immer mehr an Bedeutung. Im Jahr 1114 wurde es sogar der Abtei Sainte-Marie de Lagrasse unterstellt. Entschiedener Protest gegen diese Unterwerfung führte jedoch schließlich dazu, dass die Unabhängigkeit wiedererlangt werden konnte.

Im Jahr 1428 wurde das Kloster bei einem Erdbeben stark in Mitleidenschaft gezogen. Der obere Teil des Glockenturms stürzte ein, die Kirche wurde beschädigt und ein Teil der Klostergebäude zerstört. Der Bischof von Elne versprach am 14. Juli 1433 denjenigen Gläubigen Ablass, die bei den Reparaturarbeiten mithalfen. Die Wiederherstellung zog sich aber noch lange hin und war 1438, zehn Jahre nach der Naturkatastrophe, noch immer nicht abgeschlossen.

Saint-Martin du Canigou trat den Weg des unwiderruflichen Niedergangs an. Die Einführung der Kommende und die Schaffung von hohen Klosterämtern, die mit verschiedenen Einkünften versehen waren, bedeuteten das Ende des gemeinschaftlichen Klosterlebens. Eine Beschlagnahme vonseiten des Königs, die mit der Bindung des Klosters an die spanische Kongregation von Tarragona gerechtfertigt wurde, hatte zur Folge, dass es zwischen 1649 und 1698 überhaupt nicht mehr existierte. Die materielle Wiederherstellung mit dem Wiederaufbau der Klostergebäude und des Abtshauses, die von den Äbten Dom Pierre Pouderoux (1698–1714) und Dom Augustin Llaby (1714–1728) vorgenommen wurde, ging nicht mit einer geistlichen Reform einher.

König und Papst versuchten, die Rückkehr zu den Ordensregeln zu erzwingen, der eine durch ein Edikt von 1768, der andere durch eine Bulle vom 13. Juli 1772. Der Bischof von Elne seinerseits hielt dieses Vorhaben für undurchführbar. Die wenigen übrig gebliebenen Mönche fühlten sich in ihrer Einsamkeit verloren, die Nahrungsmittelversorgung war schlecht und sie waren den Übergriffen von Schmugglern, Deserteuren und Räubern ausgeliefert. So ersehnten sie nichts anderes als die Säkularisation. Politische und kirchliche Autoritäten einigten sich schließlich auf diese Lösung: Im Jahr 1781 hob eine päpstliche Bulle die Abtei auf, und ein königliches Brevet bestätigte diese Entscheidung am 6. Juni desselben Jahres. Gleichzeitig wurde den Ordensbrüdern eine Rente von 1400 Livres zugestanden. Schließlich ordnete der Erzbischof von Narbonne im August 1782 an, dass die Mönche von ihren Gelübden zu befreien und zu säkularisieren seien und sich die Gemeinschaft aufzulösen habe. Jean-François Galinier berichtete, dass fünf Mönche und der Abt das Kloster am 3. September 1783 verließen. Es wird ein Verzeichnis der Ausstattung und der Ornate aufgestellt, die Krypta wird zugemauert, die Tür der Oberkirche abgeschlossen, das Archiv der Abtei wird nach Perpignan verlagert, die Reliquien des heiligen Gauderuique werden nach Villefranche und von dort nach Perpignan gebracht. Das Kultgerät gelangte an verschiedene Orte der Diözese. Am 7. August 1786 wurden die Glocken vom Turm geholt, am 11. November das Mausoleum des Grafen Guifred nach Casteil verlegt. Die verlassene Abtei diente den umliegenden Ortschaften bald als Steinbruch.

 Abbaye Saint-Martin du Canigou, Ruinen, Grafik aus dem 19. Jahrhundert

Die malerische Ruine, in die sich das Kloster nun verwandelte, musste natürlich im darauf folgenden Jahrhundert die Aufmerksamkeit der Romantiker auf sich ziehen, insbesondere wurde sie durch Kupferstiche berühmt. Mit sechs Abbildungen nimmt sie einen hervorragenden Platz in den Voyages pittoresques et romantiques dans l’ancienne France des Barons Taylor ein. Schließlich findet sie sogar Eingang in das katalanische Nationalepos Canigó von Jacint Verdaguer (1886):

Was ist aus Euch geworden, herrliche Abteien Marcevol, Serrabone und Saint-Michel und aus Dir, Saint-Martin, das du fülltest die Erde mit Engeln und mit Heiligen des Himmels Reihen. Von den romanischen Altären blieb keine Spur. von den byzantinischen Kreuzgängen blieb uns nichts, Auf der Erde liegen die Statuen aus Marmor, und sein Licht ist verschlossen wie ein Stern, der über dem Canigou nie mehr aufgehen wird.

Von dem herzzerreißenden Gesang aufgerüttelt, beschloss nun der Bischof von Perpignan, Monseigneur de Carsalade du Pont, die Herausforderung dieses magischen Schicksals anzunehmen und den heiligen Berg wieder zum Leben zu erwecken.

Am 16. März 1902 kaufte er die Ruinen. In Begleitung von zweitausend Pilgern aus Katalonien und dem Roussillon nahm er am 11. November desselben Jahres wieder feierlich Besitz von den Örtlichkeiten. Diese Zeremonie markierte den Beginn der Restaurierungsarbeiten an der Kirche, die als „frommes Werk, voll Gefühl und mit praktischem Sinn“ verstanden wurden, wie es Jean-François Galinier treffend beschrieb. Obwohl das Bauwerk als historisches Monument klassifiziert wurde, handelte der Prälat zunächst völlig frei und eigenmächtig. Er baute einige Wohnhäuser wieder auf, stellte die über einen Teil des Hauptschiffs und des südlichen Seitenschiffs eingestürzten Gewölbe wieder her und erneuerte das Dach des Glockenturms. Erst seit 1916 beteiligte sich die Denkmalpflege an der Finanzierung der Arbeiten, die sie von nun an auch beaufsichtigte. Bei den nunmehr einsetzenden Restaurierungsarbeiten stellte man zunächst die Bedachung aus Schieferplatten über der Kirche wieder her und wandte sich dann dem Wiederaufbau des Turms zu. Im Jahr 1922 ergab sich das Problem, eine größere Anzahl von Kapitellen und Säulen aus dem ehemaligen Kreuzgang, die Monseigneur de Carsalade in einer Villa von Vernet erworben hatte, angemessen zu präsentieren. Da der ursprüngliche Aufstellungsort unbekannt war, beschloss man, sie in eine ebenerdige Galerie einzugliedern. Diese bildete ursprünglich den Abschluss des südlichen Kreuzgangflügels, in dem sich die Bibliothek und die Wohnung des Krankenwärters befunden hatte. Da dieser Flügel nicht wieder aufgebaut wurde, öffnet sich die Galerie heute direkt auf die Schlucht. Diese Art der Anordnung erlaubt es nun, von dort die herrliche Gebirgslandschaft zu genießen, sie hebt jedoch die alte Ordnung mit ihrer strengen Abgeschlossenheit nach außen auf. Jene schützte sowohl vor dem Trubel der Welt, als auch vor den Naturgewalten. Mit gleicher Freiheit entschied man über die bauliche Einfügung der Wohngebäude und deren Fenster- und Türöffnungen. Zwei dieser Wohngebäude bilden heute den östlichen und westlichen Abschluss des Kreuzgangs, ein drittes befindet sich außerhalb der ursprünglichen Anlage, in nördlicher Richtung am Rand der Schlucht.

Monseigneur de Carsalade hatte schon 1912 von Papst Pius X. die Erlaubnis erhalten, in Saint Martin du Canigou ein Exerzitium zu Ehren von Notre Dame de Cénacle zu gründen. Das Werk erfreute sich großen Zuspruchs. 1952 ließ sich Dom Bernard de Chabannes, ein Benediktinermönch aus der Abtei En-Calcat, hier nieder und übernahm die Leitung. Um mehr Raum für die Teilnehmer an Exerzitien zu schaffen erbaute er einen neuen dreistöckigen Wohnflügel an der nordöstlichen Ecke des Felstplateaus. Schließlich entstand 1971/72 abseits der übrigen Gebäude ein großer Empfangssaal.

Die aus verschiedenfarbigem Holz gefertigte Marienstatue aus dem 14. Jahrhundert, die in der Krypta verehrt wird, wurde in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 1976 gestohlen. Eine Kopie existiert seit 1981.

Soweit nicht anders angegeben, beruht dieses Kapitel auf: Marcel Durliat: Romanisches Roussillon. Echter Verlag, S. 61–83.
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